Der Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode sieht vor, den kollektiven Rechtsschutz zu verbessern und das KapMuG zu modernisieren:
Koalitionsvertrag, Seite 84 in der Ausgabe der SPD
Dazu hat das Bundesministerium am 28. Dezember 2023 einen Referentenentwurf vorgestellt und zur Abgabe einer Stellungnahme eingeladen. (Hier geht es zur Homepage der VzfK und zur Stellungnahme der VzfK sowie zur Pressemitteilung der VzfK.)
Der Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann hat dazu in der Pressemitteilung Nr. 77 / 2023 erklärt:
„Funktionierende Kapitalmärkte sind auf Transparenz und Vertrauen angewiesen. Dazu gehört es auch, dass Anlegern im Schadensfall wirksame Instrumente zur zügigen Durchsetzung ihrer Ansprüche zur Verfügung stehen. Mit der Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes wollen wir die bestehenden Instrumente weiter verbessern. Anleger sollen künftig schneller zu ihrem Recht kommen und die Verfahren für die Gerichte leichter handhabbar werden. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für eine starke Anlegerkultur in Deutschland und für einen attraktiven Anlagestandort.“
Vor allem die Anlegerklagen nach dem 3. Börsengang der Deutschen Telekom AG, die Dieselgate-Klagen gegen die Volkswagen AG und ihre Konzerntöchter von Anlegern und Fahrzeughaltern, die Klagen wegen dem Short-Squeeze bei der Volkswagen AG und dann „Wirecard“ haben die Gerichte mit tausenden, gleich gelagerten Fällen überzogen. Zu einem effektiven und grundrechtskonformen Rechtsschutz gehören auch zügige Entscheidungen. Das Bundesverfassungsgericht hat vielfach überlange Verfahrensdauern moniert. Der Gesetzentwurf trägt nicht dazu bei, die Verfahrensdauern signifikant zu verkürzen. Auch die anderen Vorgaben des Koalitionsvertrags bzw. des Ministers erfüllt der Gesetzentwurf nicht.
Hier geht es zur Pressemitteilung der Verbraucherzentrale für Kapitalanleger e.V. (VzfK) zum Zweiten Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG).
Das sind die wesentlichen Kritikpunkte:
- Die überlangen Verfahrensdauern werden nicht verkürzt. Die Gerichte müssen sich nach der Feststellungsklage noch mit den Leistungsklagen befassen. Damit ist jede Akte zweimal zu bearbeiten. Für Bundesverfassungsgericht verletzen überlange Verfahrensdauern die Justizgrundrechte und den Justizgewährleistungsanspruch. Das stellt den Gesetzgeber eigentlich vor die Frage, ob er hier nicht einen erkennbar verfassungswidrigen Reformvorschlag verabschiedet.
- Der Gesetzgeber hätte sich auch die Verhältnisse in anderen Ländern ansehen können: So fanden in den USA die „Telekom-Klagen“ und die „Dieselthematik-Verfahren gegen die Volkswagen AG“ schon nach wenigen Jahren eine vergleichsweise Beendigung in der ersten Instanz. Das war auch für den Verursacher günstiger: geringere Verzinsung und Verfahrenskosten.
- Die Analyse ausländischer Verfahrensordnungen führen auch zu der Erkenntnis, das Anreize für eine vergleichsweise Beendigung zu schaffen sind. Dazu kann es auch gehören, dass die Antragsfrist und die Verjährung erst dann endet bzw. eintritt, wenn das streitige Verfahren beendet wird.
- Mehr als 60 Prozent der etwa 16.000 „Telekom-Klagen“ fanden 2021/2022 eine vergleichsweise Beendigung. Ein rechtskräftiger Abschluss der Musterfeststellungsklage und der ebenfalls noch anstehenden Leistungsklagen könnte insgesamt mehr als dreißig Jahre beanspruchen. Auf das Landgericht Frankfurt und das Oberlandesgericht Frankfurt kommen noch mehr als 5.000 Einzelklagen zu. Weitere erhebliche Justizbelastungen bringen die „Dieselgate-Klagen“ sowie „Wirecard“ mit sich. Damit besteht ein weiterer Handlungsbedarf , dem der Gesetzgeber jetzt nicht entspricht. Ohne eine Einbeziehung der Leistungsklage in den kollektiven Rechtsschutz tritt keine Justizentlastung. Die massiven Grundrechtsverkürzungen vor allem beim Justizgewährleistungsanspruch und den anderen Justizgrundrechten bleiben so bestehen.
- Der Gesetzgeber reflektiert auch nicht die wesentlichen Diskussionsbeiträge. Hier sind besonders zu nennen:
- 72. Deutscher Juristentag (DJT) in Leipzig vom 26. bis 28. September 2018
- Deutscher Bundestag, Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 9. September 2020
- Erklärung der Präsidentinnen und Präsidenten der großen Landgerichte in Deutschland, 21. September 2021
- Koalitionsvertrag 2021 bis 2025 vom 7. Dezember 2021, Vorschläge im Abschnitt „Justiz“, siehe auch oben
- 75. Jahrestagung der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Präsidentin des Bundesgerichtshofs, 15. bis 17. Mai 2023