Die Zivilprozessordnung (ZPO) aus dem Jahr 1877 geht von Prozesslagen auf gleicher Augenhöhe aus. Bei asymmetrischen Prozesslagen sowie in strukturellen Informationsgefällen besteht aber keine gleiche Augenhöhe, es gibt auch nicht die vom Bundesverfassungsgericht immer wieder verlangte Waffengleichheit. Die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen wie zum Rechtsstaatsprinzip, dem Justizgewährleistungsanspruch sowie dem (Aktien-)eigentum verlangen vom Gesetzgeber, hier nachzubessern. Der Gesetzgeber steht damit auch weiterhin vor der Aufgabe, diese Prozesslagen zu nivellieren. Dazu gehört neben einem effektiven kollektiven Rechtsschutz auch eine Modifizerung der Darlegungs- und Beweislasten zum Beispiel durch Schätzungsregeln. Er muss aber schon im materiellen Recht beginnen und einige Anspruchsgrundlagen wie zum Beispiel die Ad-hoc-Haftung von Organen praktikabel ausgestalten und Verjährungsfristen verlängern. Waffengleichheit bedeutet aber in jedem Fall, dass der Anspruchsinhaber Zugang zu Beweismitteln aus der Sphäre des Verursachers erhält. Dazu bietet sich – wie im US-Recht – eine Discovery an, die über § 142 ZPO, §§ 142, 147 AktG hinausgeht.
Umfragen zeigen, warum der kollektive Rechtsschutz nun in vielen Ländern – wie auch in Österreich und der Schweiz – auch weiterhin auf der gesetzgeberischen Agenda steht. Der Deutsche Bundestag zunächst einmal vor dem folgenden weiteren Handlungsbedarf:
- In der öffentlichen Sachverständigenanhörung vor dem Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 11. Juni 2018 haben fast alle Sachverständigen zum Teil deutliche Kritik geäußert. Auch die 70. Jahretagung der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts und des Bundesgerichtshofs vom 28. bis 30. Mai 2018 haben vor überzogenen Erwartungen an die Musterfeststellungsklage gewarnt. Daher müsste es früher oder später zu Änderungen an den §§ 606 ff. ZPO kommen.
- Die 17.000 Telekom-Klagen sowie die zigtausend Dieselgate-Klagen lassen sich ohne eine spürbare prozessrechtliche Justizentlastung nicht erledigen. Hier spricht einiges dafür, den kollektiven Rechtsschutz auch auf Leistungsklagen zu erstrecken.
- Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) tritt am 1. November 2020 außer Kraft, § 28 KapMuG.
- Der „New Deal for Consumers“ der Europäischen Kommission wird weitere Empfehlungen aussprechen.
Im Verlag de Gruyter ist „Kollektiver Rechtsschutz – ein Memorandum der Praxis“ entschieden. Diese Seite begleitet die weitere Rechtsentwicklung nach dem Redaktionsschluss Mitte April 2018 in Grundzügen und bietet Links zu wesentlichen Materialien an.