Kollektiver Rechtsschutz

Die Zivilprozessordnung (ZPO) geht davon aus, dass sich die Parteien auf gleicher Augenhöhe begegnen und Waffengleichheit besteht. Bei asymmetrischen Prozesslagen sowie strukturellen Informationsgefällen ist das jedoch nicht der Fall. Das entspricht nicht den verfassungsmäßigen Gewährleistungen wie z.B. aus den Justizgrundrechten oder dem Aktieneigentum für Anspruchsinhaber.

Um den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen zu entsprechen, sind Änderungen im materiellen Zivilrecht und der ZPO erforderlich.

  • Das beginnt mit dem Zugriff auf Tatsachen. Dazu reichen Regelungen wie die § 142 ZPO, §§ 142, 147 AktG nicht aus. Die Anspruchsinhaber müssen wie in der Discovery im US-Recht schon vor der Klageerhebung Zugriff auf die anspruchsbegründenden Tatsachen erhalten.
  • Als nächstes sind die Darlegungslasten und Beweisregeln, aber auch Anspruchsgrundlagen zu modifizieren. Die Dieselgate-Verfahren zeigen, dass es hier für eine Unterscheidung z.B, zwischen Verbrauchern und Gewerbetreibenden keinen sachlichen Grund gibt.
  • In gleichgelagerten Verfahren geht es auch um Justizentlastung. Sie tritt nur ein, wenn sich das Verfahren auch auf einen Zahlungstitel richtet und – wie in den Telekom-Verfahren und bei Dieselgate in den USA – möglichst schon in der ersten Instanz ein Vergleich zustande kommt. Diese Ziele erreicht jedoch nur eine Leistungsklagen, nicht aber eine Feststellungsklage. Sie eignet sich nur für einzelne ausgesuchte Verfahrenslagen.
  • Die Verbandsklage wie nach §§ 606 ff. ZPO ist ein Fremdkörper in der Privatautonomie bzw. im Zivilrecht und Prozessrecht. ist ein Fremdkörper im Zivilrecht. Nur in besonders gelagerten Fällen wie z.B. Geschäftsfähigkeit nach §§ 104 ff. BGB, Vormundschaft nach §§ 1773 ff. BGB, Betreuung nach §§ 1896 ff. BGB oder Pflegschaft nach §§ 1909 ff. BGB ist es möglich, einen Anspruchsinhaber von der Rechtausübung zu trennen. Es gibt aber keinen sachlichen Grund, die zivilrechtliche Rechtsaufübung und sogar Verfahrensführung in die Hände eines Verbands zu legen.
    • Angesichts der Vielgestaltigkeit des Rechtslebens ist es weder sinnvoll, noch machbar, einen Rechtsbehelf wie die Musterfeststellungsklage (MFK) faktisch in die Hände einer „qualifizierten Einrichtung“ zu legen, nämlich der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.  Hier bestehen weder die organisatorischen, noch die finanziellen Möglichkeiten.
    • Zudem führt der Gleichbehandlungsgrundsatz zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen andere „qualifizierte Einrichtungen“, für die es keine Registerpflicht gibt, ebenfalls eine staatliche Finanzierung erhalten.
    • Es widerspricht der Privatautonomie, das ein Anspruchsinhaber die weitere Rechtsausübung in einer Musterfeststellungsklage auf eine staatliche finanzierte „Behörde“ übertragen muss. Eine vergleichbare zwingende Prozessstandschaft gibt es bislang nur im Familien- bzw. Kindschaftsrecht.

Die in den §§ 606 ff. ZPO geregelte Musterfeststellungsklage steht in den Dieselgate-Verfahren jetzt vor ihrem Praxistest. Angesichts der schon im Gesetzgebungsverfahren offen von der Fachwelt angesprochenen Mängel stellt sich schon jetzt die Frage nach alternativen Handlungsoptionen. Daher bietet es sich an, schon jetzt über andere Wege nachzudenken.

Hierzu stellt sich aber die Frage, ob ein Unternehmen – auch im Interesse seiner Aktionäre – substantielle Zahlungen ohne gerichtliche Grundlage leisten dürfen. Auf die sich hier stellenden Compliancefragen hat kürzlich Marc Thüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW) hingewiesen. Er hat die Autoindustrie von freiwilliger Diesel-Nachrüstung gewarnt. Auch wenn damit das Verursacherprinzip unterlaufen wird, zeigt sich damit auch ein struktureller Standpunkt der Unternehmenspraxis. Damit spricht hier alles für eine vereinfachte Leistungsklage als Annexverfahren, siehe zum Beispiel § 16 SpruchG.

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